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more_vert
In unserem Unternehmen arbeitet die Softwareentwicklung bereits seit einigen Jahren agil mit Scrum. Die Geschäftsführung möchte den agilen Ansatz nun nach und nach auch auf andere Abteilungen übertragen und mit dem Vertriebsteam beginnen. Die Skepsis unserer Sales-Mitarbeiter ist allerdings recht groß und wir sammeln Argumente, wie wir das Vertriebsteam für eine Transformation begeistern können. Ich glaube, das Hauptproblem ist, dass für uns noch gar nicht so richtig "griffig" ist, wie agile Prinzipien und Methoden für den Vertrieb adaptiert werden können. Deshalb hat auch unser Vertriebsteam keine klare Vorstellung, was sich für sie eigentlich genau ändern soll. Wie wandelt man Scrum ab, damit es für Vertrieb passt? Stichwort gemischte Teams, welche Meetings sind sinnvoll, was ist im Vertrieb ein Sprint und welche Rolle hat ein Product Owner? Freue mich auf ein paar praxisnahe Impulse!
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2 Antworten

more_vert
 
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Beste Antwort
Hallo Herr Gschwendtner,

ich würde bei der Transformation ihres Vertriebes zuerst einmal nicht bei der Lösung, also Scrum, anfangen, sondern würde zuerst einmal versuchen das Problem "griffig" zu bekommen. Was ist es also was sich ihre Geschäftsführung von der Einführung von Scrum im Vertrieb verspricht? Gleichen Sie das mit der Sichtweise der Vertriebsmitarbeiter ab. Dabei ist es aus meiner Sicht unerlässlich, dass die Kollegen im Vertrieb ebenfalls ein starkes Bedürfnis verspüren, an dieser Transformation teilzunehmen. An dieser Stelle kann es auch sinnvoll sein, sich Gedanken darüber zu machen, was in der aktuellen Aufstellung nicht so gut funktioniert, was man also verbessern möchte. Aus meiner Erfahrung gehen Veränderungsprojekte, und das ist mit Sicherheit eines, mit schöner Regelmäßigkeit schief, wenn kein starker Wunsch zur Veränderung besteht.

Ich kann jetzt natürlich nur vermuten, welche Ziele in ihrem Unternehmen existieren. Es könnte aber gut sein, dass eine höhere Transparenz über den Fortschritt und damit die Erfolgsaussichten vom Lead zum Verkauf gewünscht ist, oder die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Tätigkeiten im Vertriebsprozess verbessert werden soll, um den Kunden besser bedienen zu können. Immer dann, wenn Sie das Gefühl haben, dass eine Zielsetzung, die sie haben durch eine bessere Zusammenarbeit oder größere Transparenz erreicht werden könnte, dann ist Scrum auf jeden Fall eine mögliche Idee zur Lösung.

Jetzt möchte ich zu ihrer eigentlichen Frage kommen:

Die erste Frage, die man sich stellen muss ist, was sind eigentliche die Aufgaben, die wir im Backlog haben? Hier könnten einzeln Leads/Opportunities eine Möglichkeit sein, oder auch Aufgaben zur Vertriebsunterstützung wie Lead-Generierung, Bereitstellung neuer Verkaufsmaterialien, Messevorbereitungen, etc.
Auf dieser Basis können Sie dann überlegen, wer alles im Team sein muss, um diese Aufgaben im Sinne eines Crossfunktionalen Teams erfüllen zu können.
Jetzt muss man sich auch noch Gedanken machen, wer die Rolle des Product Owner und des Scrum Master übernimmt. Beide sollten aus meiner Sicht möglichst nicht operativ in die Vertriebsprozesse eingebunden sein. Da ich weiß, dass das manchmal schwer darstellbar ist, bzw. zu Anfang nicht wirklich gewünscht ist, würde ich überlegen, ob man vielleicht jemanden externen (einen Scrum Master/Product Owner aus einem ihrer Softwareentwicklungs-Teams oder einen externen Berater/Coach) den beiden zur Seite stellen kann. Vor allem dem Scrum Master kommt bei der Einführung eine wichtige Rolle zu, da er den Kollegen, die veränderte Arbeitsweise und die dahinter liegenden Prinzipien erklären muss. An dieser Stelle könnte zu große Sparsamkeit sehr teuer werden.
An Hand der Aufgaben und der typischen Laufzeit können Sie sich Gedanken über die Sprint Länge machen. Ich schlage auf jeden Fall vor hier nicht zu kurz und nicht zu lang zu werden. Zu kurz ist schwierig, da dadurch der Overhead zu groß wird und zu wenig innerhalb eines Sprints wirklich fertig werden kann und zu lang ist wenig hilfreich, da damit die Flexibilität verloren geht. Ich denke auch im Vertrieb, werden die typischen 2, 3 oder 4 Wochen in der Regel ein guter Ansatz sein. Im Zweifel würde ich immer kürzer anfangen und bei Bedarf verlängern, um sich im Sinne der kontinuierlichen Verbesserung auch hier an das eigene Optimum heran zu arbeiten.
Kommen wir jetzt noch zu den Ritualen / Events.
Ich halte alle gängigen Rituale Sprint Planning, Daily Scrum, Sprint Review und Retrospektive für unerlässlich, um die Transparenz zu steigern und die Beteiligten an der Veränderung und der neuen Arbeitsweise teilhaben zu lassen. Dabei halte ich es für besonders wichtig, dass alle Beteiligten regelmäßig daran teilnehmen und Abwesenheit nur in besonders wichtigen Fällen erlaubt sein darf. Telefon- und Videokonferenzen sollten dazu führen, dass das kein zu großes Problem sein sollte. Eine Begründung a la "Ich musste Vertrieb machen" oder "Ich musste mit einem Kunden reden" ist da aus meiner Sicht nicht wirklich valide. Vor allem nicht, wenn sie mehrfach vorgetragen wird :)

Ich hoffe, dass gibt schon einen ersten Einblick.

Grundsätzlich ist noch zu sagen, dass die Änderung, die bei Ihnen ansteht für die Vertriebskollegen (vor allem, die Hunter, die ständig auf der Suche nach dem nächsten neuen Kunden sind), sehr massiv sein wird und einige der grundsätzlichen Prinzipien auf den Kopf stellt. Häufig sind Mitarbeiter im Vertrieb mit komplett gegensätzlichen Herangehensweisen ausgebildet worden. Das lässt sich nicht von 'jetzt auf gleich' durch Umlegen eines Schalters verändern, sondern braucht etwas Zeit. Wenn ein starkes Ziel existiert und man sich ernsthaft auf den Weg begibt, ist das aber sicherlich eine gute Idee.

Viele Grüße
Matthias Pauers
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more_vert
Guten Morgen - vielen Dank für die ausführliche Antwort! Stimmt, ich habe vergessen, unsere Ziele zu erwähnen. Unter dem Strich möchten wir natürlich herausfinden, ob eine agile Arbeitsweise im Vertrieb zu einer Umsatzsteigerung beitragen kann, aber es geht uns auch um softe Erfolge wie eine höhere Kundenzufriedenheit. Keine andere Abteilung ist so nah dran an unseren Kunden wie Sales und dieses Wissen, was unsere Kunden brauchen, möchten wir über ein agiles Vertriebsteam besser kanalisieren und für alle zugänglich machen. Wir möchten weniger Einzelkämpfer und mehr Team, mehr Transparenz. Soweit der Plan – aber allein die Ankündigung dieser Idee hat dazu geführt, dass es unter den Vertrieblern gewaltig „rumort“. Wie Sie auch schreiben, stellen viele agile Prinzipien die traditionelle Denk- und Arbeitsweise im Vertrieb auf den Kopf. Danke, wir werden weiter überlegen, wie wir die Änderungen so angehen können, dass alle mitziehen. Vermutlich müssen wir aber im ersten Schritt noch an der Nutzenkommunikation arbeiten
more_vert
Hallo Herr Gschwendtner,
das sind doch schon mal prima Ziele. Und diese bringen die richtigen Fragen hervor.

Sie sagen, sie möchten eine Umsatzsteigerung, höhere Kundenzufriedenheit und sie möchten das Wissen über das, was ihre Kunden brauchen der Organisation besser zugänglich machen.
Wunderbar soweit. Agile Methoden können dabei helfen. Doch jetzt Vorsicht: Nicht in die tayloristische Falle tappen und herkömmliche Denkweisen anwenden!

Stellen wir uns folgendes Szenario vor: Es gibt jemanden, der nahe am Markt sitzt, der mit den Kunden richtig reden kann, der die Kunden versteht und der diese Nöte des Kunden aufnehmen kann. Das ist Ihr Vertriebsmitarbeiter. Es gibt Menschen, die in der Lage sind, diese Kundenbedürfnisse zu befriedigen bzw. Kundenprobleme zu lösen. Das ist das Entwicklungsteam. Die alte tayloristische Denkweise ist, diese beiden Funktionen funktional zu trennen. In Vertrieb UND in Entwicklung. Dazu könnte man jetzt einen agilen Prozess für das Entwicklungsteam hernehmen und einen weiteren agilen Prozess für den Vertrieb.
Sie ahnen es schon... Warum zwei Prozesse definieren für Dinge, die zusammengehören. Scrum ist dafür ausgelegt, als Funktionseinheit Bedürfnisse des Kunden zu befriedigen. Wenn Sie also wirklich von agilen Frameworks wirksam und schlagkräftig profitieren wollen, überlegen Sie, wie Sie den Vertriebsmitarbeiter so in das Scrum-Team integrieren können, damit dieses Team fortan direkt vom Markt gesteuert wird und direkt Kundenbedürfnisse befriedigt. Dazu kann der Vertriebsmitarbeiter entweder selbst in die Rolle des Product Owners schlüpfen oder er bildet mit dem Product Owner ein PO-Team und schließt damit die Lücke zw. Entwicklungsteam und Kunde.

Das ist zugegeben ein sehr ungewöhnlicher Gedankengang, aber das ist es, worauf agile Methoden tatsächlich abzielen und warum diese konsequent angewandt, mit traditionellen Denkmodellen so radikal brechen.
Ich denke es liegt aber auch auf der Hand, dass ein solches Scrum-Team wie oben dargestellt
ganz von alleine einen besseren Bezug zu den tatsächlichen Marktbedürfnissen hat, die richtigen Produkte baut, die der Kunde gerne kauft, der Kunde somit zufrieden ist und für die Organisation letztlich mehr Umsatz dabei herausspringt. Agile Transformation durch Auflösen bisheriger funktionaler Teilung ist also die Devise.

Ich gebe zu, dieser Change kostet Mut. Er wirft neue Fragen auf, z.B. wie skaliert man sowas, wie geht man mit Abhängigkeiten um usw. Aber er hat große Wirkung und viel Potential.

Fragen sie einmal Ihre Vertriebsmitarbeiter, was sie am Meisten stört? Ich könnte mir vorstellen, dass Aussagen kommen wie: 'Ich könnte soviel verkaufen, aber ich habe kein Team, das mir das rechtzeitig liefert'. Bieten Sie dem Vertriebsmitarbeiter einmal diese Idee an: "Was wäre, wenn Du Dein eigenes Team hättest?". Sie werden Begeisterung ernten.

Auch wenn es ein anstrengender und weiter Weg ist, dahin zu kommen. Was wäre wenn? Einfacher, schlanker, zielgerichteter kann es gar nicht sein. Und obendrauf garantiere ich Ihnen hochmotivierte Engineers. Denn es gibt nichts Motivierenderes, als wenn ein Engineer beim Sprint-Review in die strahlenden Augen eines zufriedenen Kunden blicken kann, dessen Problem er gerade gelöst hat.

Übrigens, das dargestellte Szenario kennen wir alle. Man muss nur in die Start-Ups hineinschauen. Dort finden wir sehr oft genau die dargestellte Situation und deshalb sind Start-Ups oft so erfolgreich und effektiv, wie effizient. Wenn eine Organisation wächst, verliert sie durch tayloristische Teilung meist diese Eigenschaften und büßt dafür Agilität und Effizienz gegen Bürokratie und aufwändige Abstimmungsprozesse ein. Diese Teilung wieder zu eliminieren und die Organisation in ein Neztwerk schlagkräftiger Mannschaften zurückzuführen ist das Ziel einer jeden agilen Transformation.

Abschließend möchte ich noch ein paar pragmatische Tipps geben, wie man erste Schritte in diese Richtung machen kann: Versuchen Sie anstatt eines agilen Prozesses lokal im Vertrieb einzuführen, einen regelmäßigen Austausch zw. Vertrieb und Produktmanagement (vertreten durch die POs/PMs) zu etablieren. Dieser Austausch kann unterstützt werden durch die Anwendung agiler Werkzeuge, z.B. Story Mapping (https://www.teamprove.de/blog/so-schreiben-sie-richtig-gute-user-stories) oder Event Storming (https://www.teamprove.de/blog/aus-der-teamprove-toolbox-event-storming). Dabei wird nicht nur die Transparenz für die Kundenbedürfnisse hergestellt, sondern es können auch gleich neue Markterkenntnisse in das Produkt Backlog eingepflegt werden. Außerdem erhalten diese Austausch-Meetings damit Workshop-Charakter und alle haben ein gutes Gefühl, dass wirklich etwas geschaffen wurde und die Meetingzeit gut genutzt wurde.
Ich will nicht verheimlichen, dass dies von den Beteiligten, insbesondere des Vertriebs, zunächst als lästig angesehen werden mag. Hier ist ein starkes Erwartungsmanagements seitens der Unternehmensführung wichtig, dass diese Art der neuen Kollaboration zukünftig von den Vertriebsmitarbeitern erwartet wird. Dafür wird der Vertrieb belohnt mit besseren Produkten und mehr Kundenzufriedenheit, was seinerseits dem Vertrieb hilft, den Umsatz zu steigern.
Das muss allen klar sein! Von Nix kommt halt Nix und die alleinige Anwendung agiler Methoden ohne Änderung der Arbeitsprinzipien hat keine Wirkung. Dann lieber beim Alten bleiben.

Ich hoffe, meine Ausführungen waren hilfreich.
more_vert

ich kenne ein positives Beispiel in dem die Abteilung: Vertrieb und die Abteilung Marketing ein Produkt Backlog gemeinsam erarbeitet haben und gemeinsam abarbeiten.

Ich stimme Markus Fuchs zu: „versuchen Sie anstatt eines agilen Prozesses lokal im Vertrieb einzuführen den Austausch  zu fördern“ um awareness & Wunsch und Notwendigkeit nach Veränderung zu wecken.

Wenn noch nicht geschehen würde ich einige Vertriebsmitarbeiter in das Scrum Event Sprint Review oder Daily Scrum des Softwareteams einladen um vorzuzeigen WIE und DAS es funktioniert. Ein Vorzeigeprojekt zeigen überzeugt oder weckt Interesse.

Das Bewusstsein und anschließend der Wunsch und Notwendigkeit auf Veränderung muss geweckt werden!
Gibt es einzelne Kollegen die Scrum im Vertrieb befürworten und als Vorbild und Leader die ganze Abteilung mitnehmen? Die Eventualität das im Vertrieb alles bestens funktioniert ist ja auch eine Möglichkeit.

In einem Event für den Vertrieb zum Thema.
„Nutzen für das Unternehmen verbessern“ würde ich die Notwendigkeit nach Veränderung prüfen.

Merke: maximaler Nutzen für das Unternehmen, fokussiert auf das wesentliche, timeboxed und Abhängigkeiten mit anderen Abteilungen sind geklärt. Sind wesentliche Merkmale von agiler Arbeit.
Merke, maximaler Nutzen steht im Backlog an oberster Stelle! Somit kann ich langsam ein Backlog erstellen und an Scrum heranführen.

In einem Event indem der Vertrieb eingeladen ist würde ich dann folgende Fragen oder ähnlich nach dem Vorbild OKR stellen.
Was läuft gut im Vertrieb und wie kann ich es nutzbringend ausbauen?
Was läuft gut im gesamten Unternehmen gut und wie kann ich es nutzbringend ausbauen?
Was funktioniert schlecht und wie könnte eine Lösung aussehen?
Welche Verbesserungsmöglichkeiten gibt es?
Wie kann ich den Nutzen für das Unternehmen verbessern?
Vielleicht entsteht ja eine Liste die wir Backlog nennen und können dann das Backlog priorisieren und in 4 Wochen abarbeiten – schon ist Scrum eingeführt.
Diese Liste sind dann auch die besten Argumente für die Veränderung.
Viele Grüße
Martin Messerer

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more_vert
Ja richtig. Sehr guter Punkt. Man kann die Ideen von Scrum einfach anwenden, so wie es Martin beschrieben hat (Was ist zu tun? Was hat oberste Priorität und Nutzen? Was ist ein erster Schritt? Bis wann wollen wir diesen erreicht haben? Und dann schauen wir, wie weitere Schritte aussehen? Wollen wir uns auf dem Weg zum ersten Teilziel uns jeden oder jeden zweiten Tag kurz austauschen dazu?). Und voila: Scrum ist eingeführt, ohne das das Wort Scrum nur einmal gefallen wäre :-) Das habe ich schon mehrmals so praktiziert und funktioniert wunderbar.
more_vert
Danke auch an den Input von Ihnen, Herr Fuchs und Herr Messerer, die Ideen werde ich so in unser nächstes Change-Meeting tragen!
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