Hallo Herr Gschwendtner,
das sind doch schon mal prima Ziele. Und diese bringen die richtigen Fragen hervor.
Sie sagen, sie möchten eine Umsatzsteigerung, höhere Kundenzufriedenheit und sie möchten das Wissen über das, was ihre Kunden brauchen der Organisation besser zugänglich machen.
Wunderbar soweit. Agile Methoden können dabei helfen. Doch jetzt Vorsicht: Nicht in die tayloristische Falle tappen und herkömmliche Denkweisen anwenden!
Stellen wir uns folgendes Szenario vor: Es gibt jemanden, der nahe am Markt sitzt, der mit den Kunden richtig reden kann, der die Kunden versteht und der diese Nöte des Kunden aufnehmen kann. Das ist Ihr Vertriebsmitarbeiter. Es gibt Menschen, die in der Lage sind, diese Kundenbedürfnisse zu befriedigen bzw. Kundenprobleme zu lösen. Das ist das Entwicklungsteam. Die alte tayloristische Denkweise ist, diese beiden Funktionen funktional zu trennen. In Vertrieb UND in Entwicklung. Dazu könnte man jetzt einen agilen Prozess für das Entwicklungsteam hernehmen und einen weiteren agilen Prozess für den Vertrieb.
Sie ahnen es schon... Warum zwei Prozesse definieren für Dinge, die zusammengehören. Scrum ist dafür ausgelegt, als Funktionseinheit Bedürfnisse des Kunden zu befriedigen. Wenn Sie also wirklich von agilen Frameworks wirksam und schlagkräftig profitieren wollen, überlegen Sie, wie Sie den Vertriebsmitarbeiter so in das Scrum-Team integrieren können, damit dieses Team fortan direkt vom Markt gesteuert wird und direkt Kundenbedürfnisse befriedigt. Dazu kann der Vertriebsmitarbeiter entweder selbst in die Rolle des Product Owners schlüpfen oder er bildet mit dem Product Owner ein PO-Team und schließt damit die Lücke zw. Entwicklungsteam und Kunde.
Das ist zugegeben ein sehr ungewöhnlicher Gedankengang, aber das ist es, worauf agile Methoden tatsächlich abzielen und warum diese konsequent angewandt, mit traditionellen Denkmodellen so radikal brechen.
Ich denke es liegt aber auch auf der Hand, dass ein solches Scrum-Team wie oben dargestellt
ganz von alleine einen besseren Bezug zu den tatsächlichen Marktbedürfnissen hat, die richtigen Produkte baut, die der Kunde gerne kauft, der Kunde somit zufrieden ist und für die Organisation letztlich mehr Umsatz dabei herausspringt. Agile Transformation durch Auflösen bisheriger funktionaler Teilung ist also die Devise.
Ich gebe zu, dieser Change kostet Mut. Er wirft neue Fragen auf, z.B. wie skaliert man sowas, wie geht man mit Abhängigkeiten um usw. Aber er hat große Wirkung und viel Potential.
Fragen sie einmal Ihre Vertriebsmitarbeiter, was sie am Meisten stört? Ich könnte mir vorstellen, dass Aussagen kommen wie: 'Ich könnte soviel verkaufen, aber ich habe kein Team, das mir das rechtzeitig liefert'. Bieten Sie dem Vertriebsmitarbeiter einmal diese Idee an: "Was wäre, wenn Du Dein eigenes Team hättest?". Sie werden Begeisterung ernten.
Auch wenn es ein anstrengender und weiter Weg ist, dahin zu kommen. Was wäre wenn? Einfacher, schlanker, zielgerichteter kann es gar nicht sein. Und obendrauf garantiere ich Ihnen hochmotivierte Engineers. Denn es gibt nichts Motivierenderes, als wenn ein Engineer beim Sprint-Review in die strahlenden Augen eines zufriedenen Kunden blicken kann, dessen Problem er gerade gelöst hat.
Übrigens, das dargestellte Szenario kennen wir alle. Man muss nur in die Start-Ups hineinschauen. Dort finden wir sehr oft genau die dargestellte Situation und deshalb sind Start-Ups oft so erfolgreich und effektiv, wie effizient. Wenn eine Organisation wächst, verliert sie durch tayloristische Teilung meist diese Eigenschaften und büßt dafür Agilität und Effizienz gegen Bürokratie und aufwändige Abstimmungsprozesse ein. Diese Teilung wieder zu eliminieren und die Organisation in ein Neztwerk schlagkräftiger Mannschaften zurückzuführen ist das Ziel einer jeden agilen Transformation.
Abschließend möchte ich noch ein paar pragmatische Tipps geben, wie man erste Schritte in diese Richtung machen kann: Versuchen Sie anstatt eines agilen Prozesses lokal im Vertrieb einzuführen, einen regelmäßigen Austausch zw. Vertrieb und Produktmanagement (vertreten durch die POs/PMs) zu etablieren. Dieser Austausch kann unterstützt werden durch die Anwendung agiler Werkzeuge, z.B. Story Mapping (
https://www.teamprove.de/blog/so-schreiben-sie-richtig-gute-user-stories) oder Event Storming (
https://www.teamprove.de/blog/aus-der-teamprove-toolbox-event-storming). Dabei wird nicht nur die Transparenz für die Kundenbedürfnisse hergestellt, sondern es können auch gleich neue Markterkenntnisse in das Produkt Backlog eingepflegt werden. Außerdem erhalten diese Austausch-Meetings damit Workshop-Charakter und alle haben ein gutes Gefühl, dass wirklich etwas geschaffen wurde und die Meetingzeit gut genutzt wurde.
Ich will nicht verheimlichen, dass dies von den Beteiligten, insbesondere des Vertriebs, zunächst als lästig angesehen werden mag. Hier ist ein starkes Erwartungsmanagements seitens der Unternehmensführung wichtig, dass diese Art der neuen Kollaboration zukünftig von den Vertriebsmitarbeitern erwartet wird. Dafür wird der Vertrieb belohnt mit besseren Produkten und mehr Kundenzufriedenheit, was seinerseits dem Vertrieb hilft, den Umsatz zu steigern.
Das muss allen klar sein! Von Nix kommt halt Nix und die alleinige Anwendung agiler Methoden ohne Änderung der Arbeitsprinzipien hat keine Wirkung. Dann lieber beim Alten bleiben.
Ich hoffe, meine Ausführungen waren hilfreich.